„Jenseits aller Raster und Schubladen“ - Florentine Schara im Interview

28.Mai 2025
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(c) RED NOSES International - Craig Russell

Unsere Clownkünstlerin Florentine Schara im Gespräch mit ROTE NASEN

Florentine erzählt uns, wie die Projekte von Emergency Smile „all die Raster und Schubladen, die wir uns so gebaut haben“, überschreiten und Begegnungen zwischen Menschen auf Augenhöhe ermöglichen.

Wann warst du das letzte Mal im Ausland im Einsatz und warum nimmst du regelmäßig an Emergency Smile Missionen teil?  

Das letzte Mal war ich im Februar 2024 auf Mission in Marokko. Bis jetzt war ich immer in unterschiedlichen Ländern, wie Süd Sudan, Ukraine, Griechenland, Italien und Sierra Leone. Was mich immer wieder dazu bringt, auf diese Missionen zu fahren, ist, dass es mich persönlich sehr berührt. Die erste Mission, die ich gemacht habe, war nach Sierra Leone. Damals gab es Emergency Smile noch nicht in der Größe, wie es jetzt ist. Ich wurde von Reinhard, unserem künstlerischen Leiter, gefragt, ob ich das machen möchte und seitdem bin ich dabei. Während der ersten Mission habe ich mich dann schon ein bisschen in die Arbeit verliebt - weil es mich sehr interessiert, andere Länder, andere Kulturen kennenzulernen, weil ich wahnsinnig gerne in diesem internationalen Team arbeite und weil ich den Austausch mit den Künstler:innen aus den anderen ROTE NASEN Partnerländern spannend finde. Aber vor allem berührt mich wahnsinnig dieser zwischenmenschliche Kontakt. Auf Emergency Smile Missionen begegnet man Menschen, die wirklich einfach existenzielle Bedrohung erfahren haben. Im Krankenhaus gib es diesen Kontakt auch, aber auf einer anderen Ebene.  

Gibt es etwas, dass du für die Arbeit hier mit Geflüchteten aus den Einsätzen im Ausland mitnehmen kannst? 

Ich bin ja auch im ROTE NASEN Team in der größten Erstaufnahmeeinrichtung Deutschland in Berlin-Tegel und das ist schon von den Umständen her ähnlich. Die Menschen, die das organisieren haben auch ähnliche Herausforderungen, wie in so großen Camps in Italien oder Griechenland. Auch wir als Clowns haben ähnliche Herausforderungen. Wenn ich jetzt gerade an Tegel denke, kann ich mitnehmen, dass ich schon in so vielen sehr chaotischen Situationen in anderen Camps gespielt habe, dass mich das hier nicht so schockt, glaube ich. Was ich mir mitnehme aus dieser Arbeit dort ist tatsächlich, dass ich mich ganz gut auf mein Gefühl verlassen kann, was eine sichere Situation ist und auch vielleicht den Menschen erstmal mit einer Unvoreingenommenheit begegnen kann. Denn Menschen sind erstmal Menschen und haben das Bedürfnis miteinander in Kontakt zu treten und für einen Moment die Schwere ihres Lebens zu vergessen. Und dass sie dann in unvorstellbaren Umständen leben, die sie verärgern, ist verständlich. Aber es hilft mir tatsächlich sehr, erst mal die Menschen zu sehen, unabhängig von Religion, Kultur, Politik oder irgendeiner Prägung, die wir alle haben. Und das finde ich sehr schön. Das sind keine Zahlen, sondern tatsächlich menschliche Wesen und die Lebensumstände in so einem Camp bedeuten alles andere als Bequemlichkeit. Es empört mich zutiefst, wenn ich höre, dass sich diese Menschen auf Kosten des deutschen Staates/Europas einen faulen Lenz machen. Eigentlich müsste jeder Mensch einfach eine Woche ins Geflüchtetencamp und dann würden ganz Viele vielleicht anders reden. 

Hast du eine ganz prägnante Erinnerung, also sowas wie deine Lieblingserinnerung an eine deiner Missionen? 

Das ist immer schwierig, weil die Missionen so unterschiedlich sind. Aber wir waren jetzt gerade in Marokko und waren dort im Erdbebengebiet. Und was ich in Marokko verstanden habe, ist, dass, wenn ich da als Clown hingehe, ich nicht unbedingt nur hingehe, um lustig zu sein oder um Leichtigkeit zu bringen. Wir waren in Bergdörfern dort. Das war wirklich eindrucksvoll, weil die Menschen in Zelten im Prinzip auf den Überresten ihrer Häuser leben. Sie haben alle Verlust erfahren, es sind ganz viele Menschen gestorben. Als wir dort ankamen war ein ganz langer Teil der Begegnung das gemeinsame Tee trinken mit ihnen im Zelt. Das fand ich sehr eindrücklich, weil es lange gedauert hat, bis ich nicht mehr mit den Füßen gescharrt habe wie so ein Pferd, das losrennen möchte. Ich dachte, ich muss doch jetzt anfangen zu spielen, denn dafür bin ich hier. Oder ich muss doch jetzt Clown sein. Bis ich verstanden habe, dass genau dieser Teil, nämlich, dass man da sitzt mit den Menschen und denen erlaubt, Gastgeber zu sein in einer Situation, wo sie selbst nichts mehr haben, genauso Teil meines Berufes ist. Gleichzeitig hat mich diese Gastgeber-Kultur, gerade in diesem nordafrikanischen Land, sehr beeindruckt. Das hat auch viel mit der arabischen Kultur zu tun, dass man einlädt, dass man gibt, ohne etwas dafür zu verlangen.  

Und die Geschichte, die ich immer erzähle, hat auch ein wenig damit zu tun.  

Es war unser letzter Tag im Camp nach drei Wochen in Griechenland. Wir waren wirklich sehr eng verbunden mit den Menschen dort und wussten auch so ein bisschen über die Familiengeschichten oder die Fluchtgeschichten. Bei dieser letzten Performance sollten eigentlich die Kinder und die Erwachsenen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, zeigen, was sie mit unserer Hilfe erarbeitet haben. Es gab aber eine Sturmwarnung und die Mitarbeitenden von IOM, der Organisation, mit der wir dort kooperieren, meinten zu uns, dass es ihnen wirklich leidtut, aber dass heute keiner kommen kann. Sie müssen wegen des Sturms alle in ihren Containern bleiben. Es war eine ganz traurige Stimmung. Und plötzlich sind dann doch am Ende alle nach und nach gekommen, zuerst die unbegleiteten Männer, dann die Familien. Die Eltern der Kinder haben Datteln mitgebracht und herumgereicht. Es war wie ein Fest. Und das hat mich berührt, weil man das Gefühl hatte, der Austausch hat funktioniert. Die Kinder sind dann aufgetreten und haben ihre Show gemacht. Und wir hatten einen kleinen Tanz, den wir immer mal wieder mit den Kindern gemacht haben, aber auch zwischendurch im Camp. Und dann haben 50 Kinder getanzt und es war einfach sehr, sehr schön. Das hat mich sehr berührt, weil es auf vielen Ebenen plötzlich eine Verbindung gab - eine Verbindung zwischen allen Beteiligten. 

Was bedeutet Emergency Smile für dich? 

Ich glaube tatsächlich, es ist eine Begegnung zwischen Menschen auf Augenhöhe, jenseits all der Raster und Schubladen, die wir uns so gebaut haben. Es spielt in dem Moment keine Rolle, welcher Herkunft die Menschen sind, welche Sprache sie sprechen, welcher Kultur sie angehören, welcher Religion sie angehören, welchen politischen Glaubens sie sind, sondern es ist geht um eine Begegnung von Mensch zu Mensch. Das schätze ich sehr. Mir persönlich, als Adrenalin-Junkie, macht es Spaß, dass ich morgens noch so gut vorbereitet sein kann, aber der Tag dann nie so verlaufen wird, wie ich denke. Die Tage sind wirklich oft unvorhersehbar. Und das sind sie während der Visiten im Krankenhaus nicht. Da passieren kleine Überraschungen, aber im Grunde genommen weiß ich, wenn ich ins Zimmer gehe, erwartet mich ungefähr das und das oder eine bestimmte Stimmung und ich muss auf das oder das aufpassen. Bei Emergency Smile weiß ich nie, was passieren wird. Das mag ich persönlich sehr, diese absolute Unvorhersehbarkeit und das „sich auf den eigenen Instinkt komplett verlassen“. In diesen Situationen, wo das Chaos einfach riesengroß sein kann, ist es total wichtig, dass man sich auf sein Team verlassen und innerhalb von kürzester Zeit Entscheidungen fällen kann, weil sonst funktioniert es nicht. Im besten Fall kommt alles echt wunderbar zusammen. 

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