Die Insel der Ruhe

02.Oktober 2025
  • Kinder

ROTE NASEN Künstlerin Yolenn Richter erzählt von einer berührenden Begegnung im Krankenhaus:

Es war Mittwoch und ich hatte nachmittags als Clown Zazou eine OP-Begleitung in der Charité: Der 9-jährige Tariq* musste am Magen operiert werden. Tariq und sein Vater saßen bereits im Warteraum. Der Junge hatte große, braune Augen mit langen Wimpern und kurze, stachelige braune Haare. Sein Vater Bilal* war ein großer, starker Mann mit den ähnlichen Haaren, jedoch etwas kürzer und mit den Jahren etwas ausgedünnter. Bei beiden spürte ich Angst und starke Unruhe. Tariqs Augen wanderten immer wieder zu seinem Vater, der fast ebenso verängstigt aussah. Trotz seiner gut trainierten Statur wirkte er klein und hilflos. Unermüdlich flüsterte er auf sanfte, schnelle Weise arabische Sätze zu seinem Sohn. Sie sprachen weder Deutsch noch Englisch.

Tariq hatte an dem Tag schon gesehen, wie ich für andere Kinder Ukulele gespielt hatte, und immer wieder neugierig den Schabernack beobachtet, der mit den anderen Kindern entstand. Ich näherte mich den beiden und spielte ein bisschen Ukulele. Vater und Sohn applaudierten, als ich das Lied beendete. Dann war es für Tariq auch schon Zeit, mit dem Bett in den OP gefahren zu werden. Ich sah, dass der Junge sehr viel Angst hatte. Ich bekam mit, dass er sich geweigert hatte, die üblichen beruhigenden Medikamente vor einer OP zu nehmen. Als wir aus dem Fahrstuhl traten, kam eine Pflegerin mit einem fürsorglichen Blick auf Tariq zu. Mit dem Medikament, das in einer Spritze war, in der Hand lächelte sie ihn an und zeigte ihm, wie man es schluckt. Dann bückte sie sich zu Tariq und versuchte, ihm das Medikament zu geben. Vater Bilal versuchte, seinen Sohn in Richtung der Schwester zu schieben, und erklärte ihm mit sanfter, dann etwas eindringlicher Stimme, dass er das Medikament nehmen müsse. Sie hatten es vorher schon mehrfach versucht. Diesmal begann Tariq zu weinen und sich im Bett zu winden, bis der Vater und die Pflegerin ihren Versuch aufgaben.

(C) Gregor Zielke/ ROTE NASEN e.V.

Der Weg zum OP-Saal führte durch einen Aufwachraum, in dem viele andere Kinder waren. Die Stimmung dort war entspannt und spielerisch. Als Tariq immer weiter in die Schleuse vor den OP-Raum kam, sah man die Panik in seinen Augen. Er öffnete seine großen, braunen Augen weit, verzog den Mund und versuchte immer wieder, aus dem Bett zu klettern. Er war nicht zu beruhigen, was alle Beteiligten in der Schleuse und im Aufwachraum sehr herausforderte. Eine der OP-Pflegerinnen hatte dann eine Idee: Per Handzeichen sagte sie zu Tariqs Vater Bilal: „Nehmen Sie Ihr Kind in den Arm und gehen Sie erst einmal raus.“ 

Während der gesamten Zeit war ich einfach mit etwas Abstand dabei geblieben. Ich öffnete ihnen die Schleusentür und spielte im Hintergrund im Vorraum sanft „Over the Rainbow“ auf meiner Ukulele. Zum ersten Mal war ich allein mit Tariq und seinem Vater und konnten so etwas Ruhe genießen.

(C) Gregor Zielke/ ROTE NASEN e.V.

Tariq setzte sich hin und hörte auf zu weinen, aber er zitterte noch am ganzen Körper. Ich merkte, dass ich ein bisschen näherkommen konnte und hockte mich hin, um auf Tariqs Augenhöhe zu sein. Ich holte meine Spirale aus der Tasche und zeigte Tariq, wie ich diese Spirale über meine Arme entlanglaufen lassen kann. Anschließend machte ich das Gleiche bei ihm und seinem Vater. So hatte ich ihn körperlich abgelenkt, um ihm die Möglichkeit zu geben, aus dem Erstarren und Zittern herauszukommen. Der Vater schaltete die Mutter auf dem Handy per Videocall dazu, um den Kleinen zu beruhigen. Sie habe ich dann auch begrüßt – so hatten wir unsere kleine Insel der Ruhe.

(C) Gregor Zielke/ ROTE NASEN e.V.

Als die Pflegerin zurückkam, war sie dankbar, dass sich die Situation beruhigt hatte. Aber ohne das Beruhigungsmittel durfte Tariq nicht in den OP. Da fiel mir ein, dass ich als Clown ebenso das Medikament einnehmen könnte. Das war zwar ganz eklig, aber ich habe dennoch einen Schluck genommen. der neugierige kleine Patient zeigte daraufhin mit einem Handzeichen, wie ich daraufhin entspannt einschlafen kann. Dann war Tariq auch schon an der Reihe. Er nahm selbst die Spritze in die Hand und spritzte die Flüssigkeit in seinen Mund. Was für ein mutiger kleiner Mann. Das musste dann auch gebührend gefeiert werden!

Wir waren also bereit. Ich bat die Mitarbeitenden, das Bett wieder hereinzurollen und tat so als würde ich mich da reinlegen wollen. Tariq war aber schneller. Und schwups lag er im Bett. Es war eine tolle Zusammenarbeit mit den medizinischen Mitarbeitenden und dem Vater - und das alles nonverbal. Das Spiel ging weiter mit OP-Haube, die ich mir und dem Papa aufsetzte. Tariq wollte dann selbstverständlich auch so eine schicke Mütze. Selbst der Abschied in den OP-Saal war dann ganz entspannt - was ein Segen!

*Namen zum Schutz geändert

(C) Gregor Zielke/ ROTE NASEN e.V.
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