Jubiläum: 10 Jahre ROTE NASEN Therapievisiten in der Fontane-Klinik
Ein Jahrzehnt clowneske Unterstützung in psychosomatischer Fachklinik
Die Fontane-Klinik Mittenwalde liegt in der Nähe von Berlin, eingebettet in eine idyllische Wald- und Seenlandschaft. In die psychosomatische Fachklinik kommen Kinder, die unter anderem an einer emotionalen Störung, ADHS oder auch einer Bindungsstörung leiden, zu einer vier- bis sechswöchigen stationären Kinderrehabilitation. Darunter sind Kinder, die Fragen wie diese nicht oder nur mit viel Mühe beantworten können: Was möchte ich? Was fühle ich? Was tut mir gut? Jungen und Mädchen mit einer Bindungsstörung haben oft kein solches „Bauchgefühl“. Denn wenn Geborgenheit, Rückhalt und emotionale Nähe in der Beziehung zu den Eltern fehlen, lernen Kinder weder, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, noch, eigene Emotionen angemessen auszudrücken. Hier unterstützen seit 10 Jahren, seit der ersten Clownvisiten im Oktober 2011, ROTE NASEN auch mit ihren Therapievisiten.
So wie den elfjährige Lukas* (Name geändert), der als Patient mit seiner Mutter Maike* als Begleitperson in die Fontane-Klinik gekommen ist. Lukas ist schon öfters von zu Hause weggelaufen. Er ist aggressiv, auch gegenüber seiner Mutter, raucht und schreckt vor Sachbeschädigung nicht zurück. Lukas musste als kleiner Junge miterleben, wie der Vater gegenüber der Mutter gewalttätig wurde. Die Mutter hat wenig Bezug zu Lukas. In der Fontane-Klinik sollen die beiden das familiäre Miteinander und die gegenseitige Wertschätzung (wieder) erlernen. Ein wichtiger Teil des Angebots sind die ROTE NASEN Clownvisiten, die jeden Montag in einem Gruppenraum stattfinden. Im Gegensatz zu den Visiten in den Zimmern in der Kinderklinik ist es hier eine bis zu sechsköpfige Gruppe aus je 3 Kindern und einem Elternteil, die die Clowns erleben. „Im Spiel können die Familien wieder zusammenfinden“, erklärt Stefan Palm, der als Clown Stefanello regelmäßig in der Fontane-Klinik spielt und Leiter des ROTE NASEN Projekts vor Ort ist.
Pantomime als Mittel der Wahl
Nun stehen Stefan Palm und sein Kollege Moritz Berg als Clowns Stefanello und Mompitz vor der bunt zusammengewürfelten Gruppe aus Kindern und Erwachsenen im hellen Raum mit Spielgeräten und großen Fenstern. Beim Betreten war Lukas Mutter eher skeptisch und wirkte so, als ob sie "null Bock" auf diese blöde Clownvisite hätte. Lukas setzte sich sofort auf einen Stuhl und wirkte genauso desinteressiert wie seine Mutter. Stolz berichtet er jetzt, dass er eine Lampe im Raum zerstört hätte. Doch davon lassen sich Stefanello und Mompitz nicht beeindrucken und beginnen mit dem, was sie in solchen Momenten am besten können: eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. "Das ist mein Freund Mompitz, ein grandioser Musiker!", stellt Stefanello seinen Clownkollegen vor. Tatsächlich hat sich Mompitz ein ganzes, selbstgebautes Orchester vor den Bauch geschnallt. Mit Trommel, Becken, Gitarre und Mundharmonika intoniert er Klassiker der Rockmusik auf ganz spezielle Clownart. Auch Stefanellos Begabung ist laut Mompitz eine ganz besondere: Vollkommen blöd dastehen, das kann er! Als ausgebildeter Pantomime beherrscht Stefan Palm seinen Körper perfekt. Denn damit "blöd dastehen" witzig wirkt, ist Körperkunst gefragt.
Das fröhliche Sich-selbst-nicht-ernst-nehmen der Clowns wirkt sich positiv auf alle Teilnehmenden aus. „Als wir dann die Vorstellungsrunde machten, wo die Kinder ihre Eltern und die Eltern ihre Kinder vorstellen und sagen, was sie besonders gut können, sagte die Mutter: ‚Lukas kann besonders gut abwaschen‘. Alleine mag er jedoch nicht. Also übernehme ich, Stefanello, die Rolle des Trockners.Einträchtig standen wir beide nebeneinanderund waschen pantomimisch ab und trocknen", berichtet Stefan Palm rückblickend. "Dann kam die Idee auf, dass wir ja auch eine Spülmaschine verwenden können. So imitierten wir beide, Lukas und Stefanello, das Gerät. Alle lachen sich halbtot als wir die typischen Geräusche machen und uns wie Spülmaschinen bewegen. Auch Lukas konnte vor Lachen kaum mehr geradestehen.“ Lukas ist nun aufgefordert, eine positive Eigenschaft seiner Mutter Maike zu benennen. Sie könne besonders gut kochen, so der Elfjährige. Prompt steht Maike auf, stellt sich an den imaginären Herd und beginnt pantomimisch, eine Gulaschsuppe zu kochen.
Den Fokus auf das Positive legen
Die ROTE NASEN Künstlerinnen und Künstler, die die Fontane-Klinik besuchen, wertschätzen Kinder und Eltern als das, was sie neben dem „Erkranktsein“ vor allem sind: als Menschen mit vielen Ressourcen, die es (wieder) zu entdecken gilt. Das bestätigt die Psychotherapeutin Cathleen Liebenow: "Der humorvoll-spielerische Zugang durch die ROTE NASEN Clowns ist einzigartig und überwindet die ‚Sprachlosigkeit‘ der Kinder und Eltern. So kann ein positiv-hoffnungsvoller Kontakt hergestellt werden, zwischen den Kindern, aber auch zwischen Kindern und Eltern und Umwelt." Die Bedeutung der ROTE NASEN Clownvisiten betont auch Björn Tharun, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychosomatik: "Ich sehe die Clownvisiten als ergänzendes therapeutisches Mittel und als Bereicherung zu den manchmal sehr anstrengenden Therapieformen wie Gesprächstherapie und Gruppentherapie. Die Kinder in der Fontane Klinik haben viel Frust im Alltag erfahren: mit den Eltern, den Geschwistern oder auch in der Schule. In den Clownvisiten können Eltern und Kinder wieder das Gute aneinander sehen. Sie erleben schöne, leichte Momente miteinander. Nicht die negativen Erfahrungen der Vergangenheit stehen im Fokus, sondern das positive Erleben im ‚Jetzt‘."
Die Gulaschsuppe ist fertig!
Ganz im 'Jetzt' sind auch Lukas und seine Mutter, die plötzlich einen Küchengehilfen benötigt. Sie holt ihren Sohn an den Phantasie-Herd. Wie zwei geübte Köche arbeiten die beiden nun Hand in Hand. "Kannst du schon einmal das Wasser für die Nudeln aufsetzen?" bittet Maike Lukas. Die Theaterdarstellung scheint den beiden großen Spaß zu machen. "Im Spiel war plötzlich eine große Nähe und Wertschätzung da", reflektiert Stefan Palm im Nachhinein. "Ich glaube, dass die Mutter durch die entspannte und fröhliche Atmosphäre ihren Sohn plötzlich in einem anderen Licht sehen konnte und dadurch einen liebevolleren Blick auf ihn hatte. Im Umkehrschluss war von Aggressivität bei Lukas nichts zu spüren. Im Gegenteil, er hat gerne mitgemacht und sich halb krummgelacht." Als die Suppe fertig ist, dürfen alle probieren. Kinder, Eltern und Clowns sind von der Kochkunst der beiden begeistert. Im Spiel konnten Lukas und seine Maike wieder zusammenfinden – eine nachhaltige Erfahrung für die beiden.
*Name geändert