Hilfe für verletzte Kinderseelen

11.Januar 2018
  • Kinder

"So leicht, auch mit Mama!" - Interview mit ROTE NASEN Künstler Stefan Palm

Stefan Palm besucht als ROTE NASEN Clown Stefanello  die Fontane-Klinik in Brandenburg. In der psychosomatischen Fachklinik verbringen neben Erwachsenen auch Kinder Zeit, die schwere Schicksale erlitten haben. Die kleinen Patienten mussten Trennungen, Traumata, Misshandlungen oder Missbrauchserfahrungen erfahren oder sie haben einen Todesfall innerhalb der Familie erlebt.

Zusammen mit ihren Eltern / einem Elternteil verbringen die Kinder bis zu sechs Wochen in der Fontane-Klinik. Auch Kinder, deren Eltern suchtkrank sind oder an Burnout leiden, kommen in die Klinik ins brandenburgische Mittenwalde. Die Clownvisite ist hier ein zusätzliches therapeutisches Angebot für die Familien. “So leicht, auch mit Mama!“ – so fühlt sich ein kleiner Patient nach der Clownvisite. Ein schönes Lob für ROTE NASEN!

Wie unterscheidet sich eure Arbeit in der Fontane-Klinik von den Clownvisiten auf einer “normalen” Kinderstation?

Auf einer Kinderstation im Krankenhaus besuchen wir jedes einzelne Kind am Krankenbett. In der Fontane-Klinik arbeiten wir in einer Gruppe zusammen mit Kindern und Eltern. Es geht vor allem darum, dass beide wieder zueinanderfinden oder die Kinder lernen, sich selbst zu behaupten. Die Gruppe besteht aus maximal acht Personen, die eine Dreiviertelstunde lang mit uns spielen. Die Fachtherapeuten schätzen die Arbeit von ROTE NASEN sehr, können sie doch aus den Gesprächen vor und nach der Clownvisite Hinweise auf das Wohlbefinden und Verhalten der Kinder und ihrer Eltern ziehen. Das geschieht natürlich alles unter Einhaltung der Schweigepflicht.

Wie arbeitet ihr mit den Eltern und Kindern in der Gruppe?

Manchmal spielen wir Märchen nach, damit die Gruppe sich kennenlernt. So machen wir aus dem „Froschkönig“ ein Rollenspiel: Jemand ist der Frosch, ein anderer ist der Brunnen, wieder ein anderer ist die Prinzessin. So finden die Kinder und ihre Eltern ins Spiel. Meistens spielen die Kinder auch gerne Scharade. Viele sind hyperaktiv oder befinden sich in einer Angststarre, weil sie Angst vor ihren Eltern haben. Durch dieses Darstellen und Nach-außen-Gehen haben die Kinder die Möglichkeit, sich spielerisch auszudrücken. Oft erlebe ich in der Nachbesprechung mit der Psychologin dass sie ganz erstaunt ist: 'Dieses Kind war immer so passiv! Es ist wunderbar zu sehen, dass es solch ein Talent hat!' Die Therapeuten nehmen das als wertvollen Hinweis für ihre Arbeit. Teilweise sagen sie nach ein paar Wochen: 'Es ist erstaunlich, das Kind hat sich ganz verändert!'

Mit den Clowns wird Schweres leicht

Manchmal machen wir in der Gruppe einfach alte Kinderspiele wie „Ochs am Berg“: Ein Kind steht vor einer Wand und richtet die Augen nach vorne. Etwa zehn Meter hinter ihm stehen die anderen Mitspieler, die sich auf die Wand zubewegen. Das vorne stehende Kind ruft nun laut: 'Eins, zwei, drei, vier…Ochs am Berg.' Bei dem Wort 'Berg' dreht sich das Kind an der Wand ganz schnell um. Die anderen Mitspieler müssen nun stillstehen. Wenn ein Mitspieler dabei erwischt wird, wie er sich bewegt, muss er wieder an die Startlinie zurück. Die Kinder haben bei diesem Spiel die Macht, auch ihre Eltern zurückzuschicken.  Manchmal ist es schön, wenn man auch als Kind die Macht hat.

Die Kinder in der Klinik haben oft Schweres hinter sich. Wie gehst du damit um?

Wie bei allen ROTE NASEN Clownvisiten machen wir auch in der Fontane-Klinik sogenannte Übergabegespräche. Hier erfahren wir, wie es den Kindern und ihren Eltern gerade geht, was sie beschäftigt. In den Gesprächen höre ich teilweise schlimme Geschichten. Beispielsweise bekomme ich die Information, dass ein Kind von seinem Vater missbraucht wird. Das berührt mich natürlich sehr. Doch in dem Moment, in dem ich die Clownsnase aufsetze, verwandele ich mich von Stefan Palm in Clown Stefanello. Ich bin dann so im Moment und ins Spiel vertieft, dass ich die Informationen der Therapeutin ausblenden kann. Das ist auch notwendig, denn wir versuchen, mit unserer Arbeit eine Welt zu erschaffen, die spielerisch und spontan ist. Wir sind ganz im 'Jetzt'. Das ist entscheidend für die Arbeit mit den Kindern in der Klinik. Durch das komplette Sich-Einlassen auf das Spiel komme ich so ins „Jetzt“, dass ich daran glaube, was ich mache. Dieses wieder spielen dürfen ist so wichtig. Unser künstlerischer Leiter Reinhard Horstkotte sagt immer: „Ihr bewirkt, dass die Kinder wieder Kind sein und spielen dürfen.“ Denn die Kinder, die in der Klinik sind, bekommen teilweise schon in sehr jungem Alter Rollen zugewiesen, die sie gar nicht erfüllen können. Wenn zum Beispiel der Vater nicht zur Verfügung steht, weil er die Mutter schlägt, fühlt sich der Fünfjährige in der Rolle, der Beschützer der Mutter sein zu müssen. Daran kann er zerbrechen. Das ist eine Last, die absurd ist. Das Clownspiel ist eine Form von Korrektur. Das hören wir auch von Therapeutenseite immer wieder. Dass die Kinder wieder Kind sein und spielen dürfen.

Die Clowns machen ein gruppen Foto mit der Familie Schubert

Kürzlich haben wir von der Mutter eines Mädchens einen Dankesbrief erhalten, über den wir uns sehr gefreut haben. Victoria und ihre Familie waren in der Fontane-Klinik, um nach dem plötzlichen Tod von Victorias großer Schwester Carolin neue Kraft zu sammeln.

Der Tod von Victorias großer Schwester war sicherlich ein Schock, der die gesamte Familie schwer getroffen hat. Ich erinnere mich daran, dass wir mit Victoria einen lustigen Slapstick gespielt haben. Mein Clownkollege Jojo und ich haben so getan, als ob wir einen schweren Koffer anheben. Für uns Clowns war der Koffer viel zu schwer, so dass wir dringend Victorias Hilfe benötigten. Victoria war voller Freude sofort mit im Spiel. Ihre Mutter und die anderen Mütter und ihre Kinder haben gekichert. Wir haben 10 Minuten lang so getan, als ob der Koffer unheimlich schwer sei, bis letztendlich Victoria den Koffer hochgehoben hat – Jojo hat es nicht geschafft. Victoria war stark, aber Jojo nicht. Am Ende hat Victoria den Koffer alleine getragen.

In der nächsten Woche haben wir das Mädchen noch mal gesehen. Unsere Spielfreude hat sich auf sie übertragen und wir waren Komplizen. Ich glaube, ihre Mutter hat gesehen, dass ihre Tochter einfach eine wahnsinnige Freude hatte und sie aus vollstem Herzen lachen konnte, dass wir wie eine Horde von Kindern zusammen gespielt haben. Ich weiß, dass Victoria in ihrer Heimat jetzt einen Theaterkurs besucht. Das macht mich glücklich!

Was können Kinder wie Victoria mit nach Hause nehmen?

Ich denke, wir Clowns können ein Fenster zu einer Welt aufmachen, in der sich die Kinder lange nicht mehr befanden und wo sie unbeschwert spielen dürfen. So als ob jemand ständig bedrückt ist und plötzlich einen Blumengarten sieht, wo er sich spüren kann und sinnliche Erlebnisse hat. Kinder erspüren die Welt mit ihren Sinnen, sie wollen spielen – es ist ein Grundrecht von Kindern, spielen zu dürfen. Wir öffnen kurzzeitig den Zugang zu einer Welt, die den Kindern aufgrund von Traumata oder belastenden Situationen verloren gegangen ist. So begreife ich unsere Mission.

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