Jedes Problem ist ein Geschenk

24.Januar 2022

ROTE NASEN Clowns trainieren Slapstick im nationalen Workshop

„Dinner for One“ ist nicht umsonst einer der beliebtesten Sketche in Deutschland: Wenn jemand wiederholt stolpert, ohne sich ernsthaft wehzutun, ist Lachen vorprogrammiert. Diesen Effekt nutzen auch ROTE NASEN Clowns bei ihren Einsätzen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Bei ihrem diesjährigen nationalen Workshop stand deshalb das nonverbale körperliche Spiel im Mittelpunkt.

Ein dumpfer Schlag gegen den Türrahmen, ein kurzer schmerzvoller Aufschrei und dann der Blick zum Publikum als sei nichts gewesen: Clown Locke alias Klaus Renzel presst seine Hand gegen die Stirn, als er dann zuschauende Personen bemerkt, stolziert er selbstbewusst durch die Tür. Zusammen mit seinen Clownkolleg:innen vom Verein ROTE NASEN Deutschland e.V. übt er nun schon im dritten Anlauf, wie er sich beim Betreten eines Zimmers gekonnt am Türrahmen stößt.

Slapstick gehört zur Grundausstattung jedes Clowns und ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Türöffner. Oft dient er den ROTE NASEN Künstler:innen als Einstieg ins Spiel, denn mit seiner Hilfe lässt sich im Handumdrehen eine Beziehung zum Gegenüber aufbauen. Er weckt sofort das Interesse des Kindes oder älteren Menschen, dem der Clown begegnet. Damit liegt die Aufmerksamkeit plötzlich auf dem Clown und nicht mehr auf der Krankheit, Angst oder Einsamkeit.

(c) ROTE NASEN Deutschland e.V.

ROTE NASEN Künstler:innen trainieren als Paar. Denn bei ihren Einsätzen sind die Clowns überwiegend zu zweit.

Slapstick ist hohe Kunst

Doch so einfach, wie es oft aussieht, ist es nicht: Slapstick ist eine hohe Kunst und erfordert viel Übung. Aus diesem Grund stand der diesjährige nationale Workshop von ROTE NASEN im brandenburgischen Fohrde im Zeichen der Bewegung und des nonverbalen körperlichen Spiels. Zudem hat das in Zeiten der Corona-Pandemie noch mehr an Bedeutung gewonnen, allein aus dem Grund, dass verbale Kommunikation durch die Schutzmaßnahmen wie Gesichtsmasken und Abstandsgebote erschwert wird. Auch deshalb trainierten im Januar 2022 ROTE NASEN Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland im Rahmen der einwöchigen Weiterbildung, ihren Körper bewusst einzusetzen, um andere zum Lachen zu bringen. Dafür braucht es oft keine Worte. Allein die Anwesenheit von Clowns hat schon einen Effekt: Ab dem Moment, wo sie eine Station im Krankenhaus oder in einem Pflegeheim betreten, ändert sich dort die Atmosphäre. Schon der Gang zum Krankenzimmer erzählt eine Geschichte. Was damit gemeint ist, erklärt Reinhard Horstkotte, künstlerischer Leiter von ROTE NASEN, der zusammen mit seiner Stellvertreterin Maria Gundolf den Workshop leitete.

„Im Krankenhauskontext hilft ein Clown allein schon mit seiner Präsenz. Was kann alles passieren, bevor wir als Clowns durch einen Türrahmen gehen, um „Guten Tag“ zu sagen, oder bevor wir ein Lied spielen, uns auf einen Stuhl setzen oder einen Kittel anziehen? Das Spielerische zu entdecken, ist ein sehr wichtiger Baustein für die Arbeit des Clowns. Die hohe Kunst besteht also darin, ohne großen lauten Auftritt, so wie auf einer Theaterbühne, sondern ganz klein und mit eher dezentem Körpereinsatz Leichtigkeit und Freude zu verbreiten. Aus dem Grund beschäftigten wir uns diesmal mit Bewegung und dem physischen Körper als Instrument.“

(c) ROTE NASEN Deutschland e.V.

Ein körperliches Spiel: ein Clown lenkt den Anderen mit einer unsichtbaren Fernbedienung.

ROTE NASEN im Training: Präzision, Timing und Technik

Für die Clowns im Workshop bedeutete das auch, morgens mit einem leichten Muskelkater aufzuwachen. Jeder Tag begann mit einer morgendlichen Joggingrunde am Havelsee entlang, die durch Yoga und Dehnübungen abgerundet wurde. Denn nonverbales Spiel bedeutet Körperbeherrschung und Bewegungspräzision, und beides erfordert Kraft und Ausdauer. Nur so gelingt es, bei einer Slapstick-Nummer unangestrengt und gleichzeitig überzeugend zu wirken. Ebenfalls unabdingbar: Technik und Timing. Selbst einfaches Stolpern über einen unsichtbaren Gegenstand ist zeitlich genau getaktet. Noch anspruchsvoller ist es zum Beispiel, beim Hinsetzen mit dem ganzen Körper langsam vom Stuhl abzurutschen. Etwas wie einen Unfall aussehen zu lassen, braucht Genauigkeit in der körperlichen Bewegung. Die nächste Herausforderung ist dann, sich in der eigenen Ukulele oder Gitarre zu verheddern, statt darauf zu spielen. Das erfordert schon fast eine eigene Choreografie.

Sich dieses Handwerkszeug anzueignen und bis zur Perfektion zu üben, ist ähnlich aufwendig, wie ein Musikinstrument zu erlernen. Entsprechend intensiv arbeiteten die Künstler:innen im Workshop mit allen möglichen Gegenständen, die sie bei ihren Clownvisiten im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung vorfinden, schauten sich von ihren Kolleg:innen Tricks ab und übten als Paar ihre Slapstick-Show für den Abschluss der Fortbildung.

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ROTE NASEN stärken das Selbstwertgefühl

Für die Glaubwürdigkeit von Slapstick ist eine bestimmte Grundhaltung wichtig, wie Maria Gundolf erklärt: „Die Kunst des Slapsticks besteht darin, die Selbstverständlichkeit und Normalität zu bewahren und den Zuschauer wissen zu lassen, was man gerade tun möchte. Die Balance zwischen der Natürlichkeit des Scheiterns und einer gewissen Gelassenheit zu finden, ist das A und O für das sensible Umfeld, in dem sich die Künstler befinden.“

Gerade bei der Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind und dadurch häufig ein schlechtes Selbstwertgefühl haben, ist es wichtig zu zeigen, dass Scheitern menschlich und erlaubt ist. Maria Gundolf erläutert das anhand eines Beispiels:

„Der Clown möchte aus dem Zimmer gehen und rennt immer wieder gegen die Tür. Erst nach dem vierten Versuch schafft er es endlich und freut sich, dass er den Ausgang gefunden hat. Der ältere Mensch sieht dann, dass es er nicht der Einzige ist, der mehrere Anläufe braucht und fühlt sich dadurch bestärkt.“ Das funktioniert allerdings nur, wenn sich die Clowns ihrem Publikum behutsam nähern, selbst beim Einsatz von Slapstick. Denn wenn etwas zu laut ist oder zu schmerzvoll erscheint, bekommen kleinere Kinder, aber auch ältere Menschen häufig Angst. In der Fortbildung lag dementsprechend der Fokus auf langsamen und ruhigen Bewegungen.

Häufig reicht es, wenn ein Clown den Flur entlang schleicht und immer wieder leicht stolpert. Nicht immer muss das Gegenüber animiert werden, aktiv mitzumachen, wie die ROTE NASEN Künstlerin Juliane Altenburg, die seit mehr als 15 Jahren als Clown Emma Dilemma arbeitet, bestätigt:

„Im Wartezimmer, wo Kinder auf die Anmeldung zu einer Operation warten, herrscht immer große Anspannung. Die Kinder haben Angst und die Eltern Sorgen vor der OP. Es gibt dort wenig Raum für das gemeinsame Spiel. Da eignet sich so eine Nummer mit dem Stuhl gut. Man setzt sich als Clown einfach dazu und rutscht immer wieder vom Stuhl. Und schon hat man die Blicke der Kinder und der Eltern auf sich gelenkt, ohne dass man sie aktiv angesprochen hat. Denn das Wichtigste in diesen Situationen ist es, die Menschen für den Moment von dem, was bevorsteht, abzulenken und sie nicht zu überfordern. Erst dann, wenn das Kind einen anschaut oder sogar anspricht, kann man in die individuelle Interaktion treten.“

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Ausschnitt aus der Abschlussshow des Workshops.

Bewusst eingesetzt, bringt Slapstick Menschen jeder Altersgruppe und Herkunft zum Lachen. Damit ist für Clowns jedes vermeintliche Problem ein Geschenk, denn ‚slapstickhaft‘ verarbeitet, ist Lachen garantiert - wie der Slapstick-Klassiker Charlie Chaplin bewiesen hat.

In der Abschluss-Show des nationalen ROTE NASEN Workshops zeigten die Künstlerinnen und Künstler das erfolgreich neu angeeignete Wissen: Clown Bella möchte gerne zur Feier des Tages ein Lied spielen. Ihre Ukulele liegt aber auf ihrem Rücken und sie kann sie so nicht greifen. Als dann Clown Polli zur Hilfe eilt, verheddern sie sich so in dem Band, dass sich keine mehr von der Stelle bewegen kann. Das Konzert ist erstmal abgesagt, doch das Publikum amüsiert sich köstlich. Mission erfüllt.

Das nonverbale Körpertraining wird ROTE NASEN Clowns noch weiterhin begleiten, denn der eigene Körper ist bei der ihrer Arbeit oft das einzige Instrument. Der Workshop hat noch einmal gezeigt: ROTE NASEN Clowns sind nicht nur Humorspezialist:innen und Improvisationsprofis, sondern auch exzellente Bewegungskünstler:innen.

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