
"Meine persönliche Kunst ist es, zu verstehen, wen ich da vor mir habe."
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Sascha Lieber, Sie sind Facharzt für Anästhesiologie und arbeiten vorwiegend in der Kinderanästhesiologie in der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Wie würden Sie Ihre Profession beschreiben?
„Als Anästhesiologe betreue ich gemeinsam mit einer anästhesiologischen Fachpflegekraft Menschen vor, während und nach einer schmerzhaften Intervention. Gemeinsam mit einer interventionellen Disziplin, wie der Chirurgie, bilden wir ein Tandem um einem Menschen Gesundheit, Perspektive oder auch einfach Leben zu schenken. Fürsorge ist wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses, welche neben der naturwissenschaftlichen Tiefe auch eine sehr wichtige seelische Komponente beinhaltet.“
Warum ist die seelische Komponente so wichtig?
„Wenn Menschen entspannt, vertraut und orientiert einschlafen, dann haben sie auch erwiesenermaßen weniger Komplikationen vor, während und nach der Intervention. Komplikationen, welche dann weniger auftreten können, sind Kreislaufinstabilitäten, Schmerzen, Übelkeit, Verwirrung und Agitation nach der Operation. Die Heilung gelingt teilweise besser, da Stress das Schmerzempfinden, die Wundheilung und das Immunsystem negativ beeinträchtigt. In unserem sehr mechanistischen Gesundheitssystem ist die Seelsorge eine große Herausforderung, da nur begrenze Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Ich versuche in der Kürze der Zeit eine empathische Beziehung zu meinen Patientinnen aufzubauen. Meine persönliche Kunst ist es, zu verstehen, wen ich da vor mir habe und wie ich sie abholen kann. Während der Einleitungen der Allgemeinanästhesie also dem Einschlafen der Patientin wende ich immer Hypnose und das Einsprechen von Bildern an. Ich versuche eine Immersion zu schaffen, also das Abtauchen in eine schöne Situation und damit eine komplette Ablenkung von der prekären Situation zu erreichen.“
Sind Sie bereits selbst ROTE NASEN begegnet?
„Ja, ich habe persönlich erfahren, dass ein ROTE NASEN Clown durchaus auch meine Arbeit bereichern kann. Ich habe ein kleines Mädchen betreut, deren Augen operativ gerichtet werden mussten. Und ROTE NASEN Clown Natascha Lachmannowa hat uns vom Einschleusen in den Operationsbereich bis nach dem Einschlafen des kleinen Mädchens im Operationssaal begleitet. Das Mädchen wartete auf ihren Abrufen in einem Vorraum des Operationsbereiches. Natascha war bereits bei Ihr. Ich fragte die Checkliste ab, eine Liste, auf der die wichtigsten Punkte zur Patientin und zur Operation nochmals kontrolliert werden und beobachte parallel wie gut das Mädchen und Natascha harmonierten. Sie war entspannt und nur wenig gestresst. Viele Kinder sind vor Operationen sehr angespannt und gestresst. Bis zur Schleuse sind auch ihre Eltern mitgekommen, danach mussten sie sich aber verabschieden. Mir war es aber wichtig, dass Natascha mitkommt, um dem Kind weiterhin so gute Gesellschaft leisten zu können. Sie hat sich für den Operationsbereich umgezogen und ist dann mit in den OP-Saal gekommen. Ihre Präsenz hat das Mädchen, aber auch mich entspannt. Das Mädchen war ohne jede Angst und war so abgelenkt von der sterilen Umgebung, dass wir präzise unser Einleitungsprogramm durchführen konnten. Das heißt das Kind auf den OP-Tisch lagern, die Überwachungsinstrumente anschließen, die elektronische Dokumentation starten und das schwerste einen peripheren Venenzugang mittels einer Venenpunktion zu etablieren. Wir nutzen dafür Zauberpflaster, welche die Haut betäuben, so dass die Venenpunktion nicht weh tut. Man muss sich das so vorstellen: Wenn Kinder eingeleitet werden, dann herrscht viel Anspannung, die Kinder müssen kooperativ sein damit alles gut gelingen kann. Natascha war die ganze Zeit im Blickfeld der Patientin an der OP-Tür und spielte auf ihrer Ukulele und sang dazu ein Frühlingslied. Das Mädchen war wie gebannt und war dadurch kooperativ und entspannt. Das für mich so bemerkenswerte war, dass Natascha die Stimmung immer blitzschnell antizipierte und damit in ihr Spiel aufnahm. Das hat mich auch in Schwingung versetzt. Ich sprach dem Mädchen dann einen Spaziergang durch eine schöne sonnige Frühlingslandschaft ein, die Sonne scheint, es ist herrlich warm und die Vögel zwitschern in den Bäumen, das Gras steht hoch auf einer Blumenwiese, eine leichte Brise geht durch die Äste der Bäume. Und Natascha hat meine Worte aufgenommen, die Melodie der Ukulele daran angepasst und schöne Reime wie Echos auf meine Worte gelegt. Es war wirklich schön und eine Bereicherung für das gesamte Team im OP-Saal. Das kleine Mädchen glitt sanft in den Schlaf und wir konnten unter sehr kontrollierten und stabilen Bedingungen die Atemwegssicherung beginnen. Natascha verabschiedete sich von uns und wir begannen mit der Operation.
War dieser Zugang zur Patientin etwas Neues für Sie?
„Ja, denn zwar weiß ich um die Kraft der Melodie, doch weder beherrsche ich die Kunst der musikalischen Improvisation, noch hätte ich die Ressourcen dafür, um zusätzlich zur Patientenversorgung diese auszuüben.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
„Natürlich wäre es schön, wenn wir mit Roten Nasen ein Team bilden könnten um die Patientenversorgung kleiner Menschen noch integrativer, nachhaltiger und sicherer zu machen. Zurzeit sind die Roten Nasen eher fluide in unserem System eingebunden, wenn sie tatsächlich im Prozess eingebunden wären, hätte das in meinen Augen einen großen Mehrwert.“